Editorial

Februar 2024


Liebe Mitglieder,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

durch die Veröffentlichung der Inhalte des „Potsdamer Treffens“ von rechtsgerichteten oder identitären Personen und Kreisen durch das Recherchekollektiv Correctiv wurde als grund- legende Handlungsbasis dieser rechtsgerichteten Kräfte ein völkisches Verständnis deutlich, das auf der Annahme einer kulturellen Homogenität gründet und festlegt, wer und was als „deutsch“ zu gelten hat – und wer nicht. Völlig zu Recht hat sich insbesondere gegen dieses völkisch-ideologische Verständnis ein breiter Protest erhoben.

Die Frage, was als „deutsch“ zu gelten hat, wurde seit dem 19. und vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch über die ruralen Formen der Architektur, insbesondere Bauernhäuser und Fachwerkbauten, geführt und wurde auch bei der Gründung des AHF in den 1950er Jahren nicht in Frage gestellt. Erst die später so genannten „Jungen Wilden“ im AHF-Vorstand der frühen 1980er Jahre, ich möchte hier stellvertretend Klaus Freckmann, Konrad Bedal oder Ulrich Großmann nennen, sorgten für eine Neuorientierung des AHF und die endgültige Abkehr der Haus- und Gefügeforschung von völkisch-genetischen Leitbildern und entwickelten diese zu einem erkenntnisoffenen Forschungsfeld.

Die Ansprache von Hausformen, Holz- und Architekturgefügen als konstitutive Elemente eines „Stammes“ oder völkischen Raumes wurde wesentlich durch die damalige Volkskunde geprägt, die erst unter den Nationalsozialisten als universitäres Fach etabliert worden war. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Fachgeschichte hat dort wie im AHF schon längst eingesetzt und führte zu einer Umbenennung der meisten Professuren oder Institute zum Beispiel in „Empirische bzw. Vergleichende Kulturwissenschaften“ oder „Europäische Ethnologie“. Zugleich wurde die Haus- und Gefügeforschung in diesen Fächern zunehmend aufgegeben und wird meines Wissens in den Nachfolgeinstituten an den Universiäten heute so gut wie gar nicht mehr gelehrt. Die Haus- und Gefügeforschung wurde vor allem von Freilichtmuseen, freien Forschungsbüros oder versierten Laien fortgeführt. Mit den aus der Architekturausbildung abgeleiteten Studiengängen der Denkmalpflege wird heute die Erfassung von städtischen und ländliche Haus- und Hofstrukturen über die Anfertigung von Plänen einbezogen und die Grundlagen der Haus- und Gefügeforschung vermittelt. Die fachinterne kritische Auseinandersetzung der Volkskunde wird dabei in der Regel nicht rezipiert. Auch gelten ältere Bücher etwa des Architekten Hermann Phleps wie „Der Block- bau“ (1942, 1981, 1989) oder „Alemannische Holzbaukunst“ (1967, 1988) sowie auch Friedrich Ostendorfs „Geschichte des Dachwerks“ (1908, 1982, 1987, 1997) in der heutigen Bauforschung weiterhin als Standardwerke. Dieser Anspruch mag in Bezug auf die Darstellung von konstruktiven Phänomenen noch berechtigt sein, jedoch wird der völkisch-genetische Ansatz in der Interpretation der zeitlichen und räumlichen Entwicklung von Gefügephänomenen bei diesen Autoren entweder übersehen oder unhinterfragt weitergegeben.

Man muss wenig hellseherisch begabt sein, um vorauszusehen, wie die rechtsidentitäre Bewegung auf das bauliche materielle Erbe zugreifen und längs der ideologischen Linien eines völkisch-genetischen Verständnisses eine „Deutsche Baukultur“, insbesondere des Holzbaus, wiederbeleben wird. Wie virulent diese Ideen immer noch oder schon wieder sind, konnte ich mit Studierenden im letzten Sommersemester während einer Anwendungswoche im fränkischen Städtchen Seßlach erfahren, wo ein frisch bei Manfred Gerner ausgebildeter Stadt- und Fachwerkführer neuzeitliche Fachwerkzierformen als „Runen“ auszudeuten begann. Hier wurde deutlich, wie notwendig eine Auseinandersetzung mit den Leitideen und völkischen Verirrungen der frühen Haus- und Gefügeforschung ist, um darauf angemessen reagieren zu können.

Auch unsere nächste Jahrestagung in Kommern zum Thema „Haus - Konstruktion - Landschaft. Zur Verbreitung baulicher und kultureller Phänomene“ will sich dieser Herausforderung stellen. Dafür sollten nicht nur Konzepte der Darstellung von Hauslandschaften zum Beispiel in Freilichtmuseen vorgestellt werden, sondern es muss auch eine kritische Auseinandersetzung mit völkischen Forschungstraditionen zum Fachwerkbau erfolgen, die bis heute nachwirken und verbreitet werden. Vor diesem Hintergrund sollte danach gefragt werden, wie im Lichte der aktuellen Forschung Gefügeentwicklungen räumlich und zeitlich interpretiert und kontextualisert werden können.

Die Tagung in Kommern bietet aber auch Raum für die Vorstellung aktueller Forschungen unabhängig vom Tagungsthema. Es ist zu empfehlen, sich frühzeitig um Übernachtungs- möglichkeiten zu kümmern. Der Tagungsort im LVR-Freilichtmuseum Kommern ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln leider nur eingeschränkt erreichbar. Eine frühzeitige Organisation in Fahrgemeinschaften ist daher anzuraten.

Zum Abschluss möchte ich dem AHF-Mitglied Wolfgang Dörfler gratulieren: Ihm wurde kürzlich das Bundesverdienstkreuz verliehen. Ein wesentliches Argument für die Auszeichnung sind aus meiner Sicht Dörflers Aktivitäten in seinem Heimatort Hesedorf bei Gyhum (Niedersachsen). Hier hat er das bauliche Erbe aus Respekt vor der der baukonstruktiven Leistungen der Vergangenheit durch die Translozierung und Erhaltung von mehreren abrissbedrohten Gebäuden bewahrt. Zugleich wurden diese Bauten nicht musealisiert, sondern von der Dorfgemeinschaft für Feiern und Veranstaltungen genutzt und in die soziale Struktur der Gemeinde eingebunden. Herzlichen Glückwunsch!

Mit herzlichen Grüßen
Dr. Thomas Eißing
(Vorsitzender)

 

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